Nara - die alte Hauptstadt des Kaiserreichs
Das Yamatobecken, das Nara umgibt, ist die Geburtsstätte der japanischen Kultur. Hier entstanden im 6. Jahrhundert die ersten Hauptstädte des Kaiserreichs. Hier wurden die ersten Schritte gemacht auf dem Weg zu einem zentralistischen Regierungssystem nach chinesischem Vorbild. In dieser Zeit war es shintōistisch begründete Sitte, jedes Mal nach dem Tod des Kaisers die Residenz wegen kultischer Unreinheit zu verlegen. So gründete auch Kaiserin Gemmi bei ihrem Amtsantritt eine neue Hauptstadt und verlegte ihren Hofstaat dorthin. Auf diese Weise entstand im Jahre 710 Heijōkyō, das heutige Nara.
Die Stadt wurde schachbrettartig angelegt, wobei die Straßen streng in Nord-Süd-Richtung angeordnet waren. Die Straßen waren von buddhistischen Tempeln gesäumt. Wichtigstes Gebäude war der nördlich des Zentrums gelegene Kaiserpalast. Etwa 200.000 Menschen lebten zu dieser Zeit in Heijōkyō, etwa 10.000 davon am Hof des Kaisers. Es war das erste wirklich städtische Zentrum Japans. Durch die staatlichen Reformen und den zunehmenden bürokratischen Apparat der Zentralregierung entstand die Notwendigkeit, den Regierungssitz auch nach einem Kaiserwechsel an seinem Ort zu belassen. So blieben die sechs Kaiser, die Gemmi nachfolgten, in Heijōkyō. Es war eine Blütezeit von Kunst und Kultur in der es zu einem gewaltigen Zustrom an kulturellen Gütern aus China und anderen Teilen des asiatischen Kontinents kam. Auch gelangten die Kanji-Schriftzeichen und die buddhistische Religion während dieser Periode nach Japan. Große buddhistische Klöster wurden errichtet und fungierten als Zentren von Wissenschaft und Bildung. Die erste große Gedichtsammlung, das Man'yōshu, entstand im Jahre 759. Auch begann der Kaiserhof damit, seine Geschichte aufzuzeichnen. So entstanden die ersten großen Chroniken Japans, Kojiki und Nihonshoki. Als der Einfluss des buddhistischen Klerus auf die Politik zu stark wurde, beschloss Kaiser Kammu, die Residenz zu verlegen, zuerst im Jahre 784 nach Nagaokakyō, zehn Jahre später dann nach Heiankyō, dem heutigen Kyōto. Zwar verlor die Stadt Nara danach an Bedeutung, die buddhistischen Tempel und Shintō-Schreine blieben jedoch wichtige religiöse Zentren und existieren noch heute. Seit 1998 sind einige davon Teil des UNESCO-Weltkulturerbes.
Heute ist Nara eine Großstadt mit 360.000 Einwohnern und Verwaltungssitz der gleichnamigen Präfektur Nara. Teile des historischen Stadtgebiets wirken auf den Besucher wie ein Freilichtmuseum. Die Stadt ist dort ruhiger und beschaulicher als das nur dreißig Bahnminuten entfernte, von Touristen oft überlaufene Kyōto. Streift man durch das historische Nara, so findet man überall noch Orte, die eine ganz besondere Atmosphäre ausstrahlen und dem Besucher das Gefühl vermitteln, ganz tief in die Geschichte Japans einzutauchen.